Liane Kunze ist gelernte Buchhändlerin, absolvierte eine Umschulung zur Rechtsanwaltsfachangestellten und arbeitete jahrzehntelang in Bürojobs. Wirklich zufrieden war sie damit nicht, auch weil ihr ihre Hörprobleme immer mehr den Arbeitsalltag erschwerten. Sie entschied sich mit über 50 Jahren erneut für eine berufliche Veränderung und fand ihre Verwirklichung als Altersbegleiterin in einer Wohngemeinschaft für Senioren. Ihr Beispiel zeigt, dass es nie zu spät ist, das berufliche Glück zu suchen.
Liane schaut interessiert in die Webcam, als sie uns zum Gespräch trifft. Ihre schulterlangen, braunen Wellen wippen im Takt ihrer Worte. Aufrecht und mit verschränkten Beinen sitzt sie in Ruth Richters Büro, der Geschäftsführerin von P&S. „Vertraut und seltsam gleichzeitig, dass ich heute hier sitze“, murmelt Liane. Vertraut, weil sie bis vor wenigen Wochen regelmäßig hier war. Das Ziel: Einen Job finden, der wirklich zu ihr passt. Seltsam, weil sie eigentlich gar nicht mehr hier sein müsste; denn sie hat ihr Ziel erreicht.
„Alleine wäre ich gar nicht auf die Idee gekommen, mich auf die Anzeige meines aktuellen Jobs als Altersbegleiterin zu bewerben“, erklärt die 55-Jährige. „Nach meinem Abschluss an der POS, quasi der Mittelschule in der DDR, habe ich nämlich eine Ausbildung zur Buchhändlerin gemacht und einige Zeit in dem Beruf gearbeitet.“ In Westdeutschland angekommen, sah der Arbeitsmarkt für Buchhändler düster aus. Der Kompromiss: Verkäuferin in einem Spielwarenladen. Dann ging Liane einige Jahre in Elternzeit.
„Mein Sohn war unheilbar krank, ich habe mich bis zu seinem Tod lange und intensiv um ihn gekümmert“, berichtet sie ruhig aber bestimmt von diesem Lebensabschnitt. Es folgten eine Umschulung zur Rechtsanwaltsfachangestellten und Bürojobs. Ganze elf Jahre lang arbeitete Liane bei der Fondsdepot Bank in Hof: „2016 gab es eine große Entlassungswelle, von der leider auch ich betroffen war.“
Die nächste Station: ein Versandhandelsunternehmen für Damenmode. Waren zusammenstellen, verpacken – den Überblick behalten. „Als Kommissioniererin hatte ich einen Vertrag über 6,5 Stunden. In dem Zeitraum konnte ich der Arbeit, die anfiel, aber nicht gerecht werden, weshalb ich viele Überstunden machte. Nach über zwei Jahren nahm ich all meinen Mut zusammen und fragte nach einem Vertrag über acht Stunden“, erklärt Liane. „Das können wir Ihnen leider nicht bieten“, antworteten meine Vorgesetzten.“ Die Entscheidung war gefällt: Sie kündigte.
Im Coaching wuchs die Zuversicht
Liane schmunzelt: „Ab jetzt ging es bergauf.“ Über die Agentur für Arbeit erfuhr sie von dem privaten Bildungsträger P&S. „Erst wurde mir die Teilnahme an einem Gruppencoaching vorgeschlagen. Da bekam ich Bauchschmerzen – das würde wegen meines GdBs sicher nicht gut funktionieren.“
Mit GdB (Grad der Behinderung) spielt Liane auf ihre Hörprobleme an. Ihr Grad liegt bei 30 von maximal 100. „Bis ich bei Frau Richter in den Einzelcoachings war, habe ich das vor allem als Hürde gesehen“, schildert Liane. „Doch sie erklärte mir dann, dass das für meinen Arbeitgeber Vorteile bringen kann – das war mir gar nicht klar.“ Bei einer Anstellung übernimmt die Agentur für Arbeit nämlich für ein halbes Jahr 50 Prozent der Kosten, die für ihre Beschäftigung anfallen. „Das machte mich deutlich attraktiver für künftige Arbeitgeber“, lacht Liane.
„Apropos Attraktivität: Auch meine Bewerbungsunterlagen brachten wir gemeinsam auf Vordermann.“ Heißt: Ein neues Bewerbungsfoto muss her, das Anschreiben wird neu formuliert und deutlich gekürzt. Im Selbstlehrprogramm frischte sie ihre Kenntnisse in Word, Excel und Powerpoint auf. „Ich dachte schließlich, dass ich wieder in einem Bürojob landen würde. Als wir die Bewerbungen rausschickten, erwischte ich mich oft beim Gedanken: „Hoffentlich wird das nichts.“” Zu groß sei die Angst bei Telefonaten oder in der Büroumgebung aufgrund ihrer Schwerhörigkeit etwas nicht zu verstehen.
„Ausgerechnet in einem Callcenter habe ich dann eine Stelle angenommen“, lacht Liane. Gleich zu Beginn habe sie ihre Hörprobleme angesprochen. Die Vereinbarung: Sie würde die Telefonate einer Kollegin protokollieren. „Schon am ersten Tag habe ich gesagt: „Das geht nicht. Ich verstehe nur die Hälfte.“ Nach mehreren Gesprächen mit den Vorgesetzten beschloss sie zu gehen.
Im gemeinsamen Gespräch kam die zündende Idee
So kam Liane zurück zu P&S – mit dem Ziel, einen Job zu finden, der ihr wirklich Spaß macht. Und bei dem sie bis zur Rente bleiben kann. Bevor sie eine neue Stelle antrat, holte sie ihre Mutter einige Wochen zu sich, um sich intensiv um sie zu kümmern. „Frau Richter fragte mich scheinbar beiläufig, wie unsere gemeinsame Zeit sei. Tatsächlich aber hat sie meine enge Bindung zu meiner Mutter auf eine Idee gebracht.“ Die passende Stelle zur Idee war kurze Zeit später gefunden: Altersbegleiterin für eine Senioren-WG. „Zunächst hatte ich da meine Bedenken: Schließlich habe ich noch nie etwas in diesem Bereich gemacht!“, erklärt Liane.
Nach dem Vorstellungsgespräch verschwanden diese Bedenken – denn sie wurde zum Probetag eingeladen. „Ich war von Anfang an begeistert“, erzählt Liane lächelnd. „Die Bewohner sind wie meine Kinder. Ich wasche ihre Wäsche, koche für sie und mache die Grundreinigung.“ Während der Arbeitszeit in der Senioren-WG muss sie ihre Armbanduhr abnehmen. Eine Arbeitskollegin, die in Rente ging, hat Liane ihre Taschenuhr geschenkt. „Das hat mich total berührt – und ich wusste: Hier bin ich richtig. Und bleibe gerne bis zur Rente.“
Ein Nachbar von Liane ist ebenfalls arbeitssuchend. Immer wieder legt sie ihm nahe, bei der Agentur für Arbeit ein Coaching bei P&S anzufragen. „Schließlich war das Ganze hier wie ein Sechser im Lotto für mich.“